Der Roman „Der Boxer“ von Szczepan Twardoch rührt an gleich mehrere Tabus. Erzählt er doch die Geschichte eines jüdischen Boxers, der nicht nur nach und nach zum Paten seiner Unterwelttruppe aufsteigt, sondern sich auch im Warschau des Jahres 1937 zunehmendem Antisemitismus ausgesetzt sieht. Dass der in Polen verbreitet war, dass dort einst vor dem Zweiten Weltkrieg die zweitgrößte jüdische Gemeinde bestand mit mehr als drei Millionen Mitgliedern, von denen nur noch einige Tausend verblieben sind, ist eine unbequeme Wahrheit im Land.

In „Der Boxer“, dessen Theaterfassung am 14. September im Thalia in der Gaußstraße zur Uraufführung kam, üben im Zwischenkriegs-Polen nach dem Tod Jozef Pilsudskis 1935 rechtsnationale Kräfte Druck aus. Erst gibt es kleine Diskriminierungen, am Ende steht die – von Deutschen organisierte, von Polen ausgeführte – Vernichtung, mit der sich auch die Hauptfigur konfrontiert sieht.

Mit ihrer Inszenierung liefert die junge, mehrfach mit Preisen dekorierte polnische Regisseurin Ewelina Marciniak ihr Debüt am Thalia ab. „Ich verhandelte schon diese Mythologie, dass auch die Polen mitverantwortlich sind für die Verbrechen an den Juden, allerdings möchte ich diesen Sachverhalt nutzen, um über Gewalt zu sprechen“, sagt Marciniak. „Sie ist eine Krankheit, und als Nation sind wir verantwortlich dafür. Denn wie kann es sein, dass nach einer so extremen Er­fahrung in der Vergangenheit, diese Atmosphäre jetzt wieder auftritt?“

Die politische Ebene schwingt mit im Stück, das in seiner wehrhaften Haupt­figur auch aufräumt mit dem Stereotyp vom Juden als „gutem Opfer“. Gleichzeitig erzählt „Der Boxer“ aber einen süffigen Thriller, eine Gangsterballade, die die Regisseurin mit den Mitteln des Film noir forcieren wird. Weil ihr die Frauenfiguren, die hier als Ehefrau, Geliebte, Prostituierte, auftreten, zu flach angelegt erscheinen, erzählt sie die Geschichte aus der Sicht der drei Frauen, die das Leben der Hauptfigur, des Boxers Jakub Shapiro, teilen. Den Autor, der in seiner Heimat ein Star der Literaturszene ist, schätzt sie auch für seine Sinnlichkeit. „Man kann den Geschmack, den Geruch in seinem Text spüren. Es geht nicht nur um die großen Fragen, er erzählt von den Menschen, den Cafés. Er zeigt uns, dass die Menschen immer auch genießen wollen, egal, wie schwierig die Umstände gerade sind.“

Das andere große Thema, das sie beschäftigt, ist die Gewaltdarstellung. Natürlich kommen in „Der Boxer“ Faustkämpfe vor, Morde, Folterszenen. „Ich frage, was dahintersteht. Warum kann uns die Gewalt verführen?“, so Marciniak. „Shapiro ringt mit der Schuld in seinem Inneren. Und er sucht eine Antwort auf die Frage, ab welchem Moment brach der Hass, die Gewalt aus? Ist es seine Natur oder gibt es ein Ereignis als Auslöser?“ Die Kämpfe wird sie stark stilisieren in einer Mischung aus Show und Tanz.

Auf der Bühne mit dem Team eine eigene Welt für die Geschichte zu kreieren ist das Anliegen der Regisseurin. Gleichzeitig gilt ihr „Der Boxer“ in einem Europa des wiedererstarkten Nationalismus als eindringliche Mahnung im Hinblick auf die Zukunft.

„Der Boxer“ So 15.9., 19.00, 21.9., 20.00, 22.9., 19.00, 6.10., 19.00, 12.10., 20.00, 13.10., 19.00, Thalia Gaußstraße (Bus 2), Gaußstr. 190, Karten: T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de